Das Interview
Geführt und veröffentlicht vom Institut für Forschung, Projekte und Training (IFTP), Träger des forum wbv.
forum wbv: Sie sind als Weiterbildungsverbund u.a. im Gastgewerbe aktiv. Können Sie uns die Situation dieser Branche in Ihrer Region kurz vorstellen?
Regio WBV Nordschwarzwald: Die Fachkräftesituation im Bereich Hotellerie und Gastronomie war bereits vor Corona recht schwierig. Die Gründe liegen in den Arbeitsbedingungen der Branche: Arbeit außerhalb der üblichen Arbeitszeit (Früh-, Spät- und Nachtschichten, Arbeit an Wochenenden und Feiertagen), lange Schichten, geringe Entlohnung, keine Sondervergütungen (zum Beispiel keinen Schichtzuschlag).
In den meist als Familienbetrieb geführten kleineren und mittleren Hotels, jenseits der großen Hotelketten und bekannten Hotels auf Sterneniveau, gibt es so gut wie keine Weiterbildung. Die Fachkräfte bleiben lange in den gleichen Positionen und es wird wenig für die Mitarbeiter:innen-Entwicklung und -Bindung getan. Zudem werden Auszubildende wie ausgebildete Fachkräfte – mit weniger Entlohnung – behandelt. Es gibt Hotels, die einen kleinen Stamm an Mitarbeiter:innen haben und diesen größtenteils durch Auszubildende erweitern. Die unerfahrenen Auszubildenden arbeiten häufig als Vollarbeitskraft, allein und ohne Unterstützung.
In der Coronazeit wurden die Hotels / Restaurants aufgrund der Coronaschutzverordnungen geschlossen. Die damaligen Angestellten gingen in Kurzarbeit und erhielten dann meist 65 % ihres ursprünglichen Nettoeinkommens. Daher haben sich in der Zeit viele Mitarbeiter:innen neue Stellen im Dienstleistungssektor oder in der Industrie gesucht. Dabei haben sie festgestellt, dass die Arbeitszeiten sich wesentlich besser als in der Gastgewerbebranche mit dem Privatleben vereinbaren lassen, dass Einkommen höher und die Arbeitsbedingungen besser sind. Nach der Coronapandemie sind viele Fachkräfte nicht in die Gastgewerbebranche zurückgekehrt. Darin liegt u. a. eine Ursache für den großen Fachkräftemangel, der nach der Coronapandemie verstärkt auftritt.
Nach den Corona-bedingten Lockdowns haben die Übernachtungszahlen, die Events und Reisen wieder zugenommen. Aufgrund des Fachkräftemangels versuchen die Unternehmen die derzeitige Situation mit einer geringeren Anzahl von Mitarbeiter:innen abzudecken. Im Jahr 2022 haben viele Unternehmen zugemacht oder hatten verkürzte Öffnungszeiten.
Das große Thema aller Unternehmen sind die fehlenden Fachkräfte. Es werden verstärkt Mitarbeiter:innen aus Drittländern akquiriert.
WBV HOGA:Co: Wir sind im Berliner Gastgewerbe aktiv. Das umfasst Hotels und Restaurants ganz unterschiedlicher Größe, vom Konzern bis zum inhabergeführten Kleinstbetrieb, außerdem Cateringunternehmen, Cafés, Imbisse, Streetfoodstände und weitere angrenzende Bereiche der gastronomischen Versorgung und der Beherbergung im Veranstaltungs- und Kulturbetrieb. Natürlich ist die Branche insgesamt sehr stark durch die Pandemie geprägt – Fach- und Arbeitskräfte fehlen in großem Umfang, die physische und psychische Belastung der verbliebenen Beschäftigten ist extrem hoch, Quereinsteigenden und Auszubildenden fehlen Grundkompetenzen und Routinen, die Qualität leidet, Öffnungszeiten müssen verkürzt werden usw. Das ist zugleich ein guter Nährboden für innovative Geschäftskonzepte, Nischenkonzepte, die oft nicht mehr auf die klassischen Fachkompetenzen setzen: Brauhäuser, Hüttenhotels, vegane Küche, ganzheitlich nachhaltiges Wirtschaften, regionale Netze – in Berlin und im Brandenburger Umland. Dort tummeln sich ja die unterschiedlichsten Lebensformen und Besuchsgruppen auf engstem Raum. Und es begünstigt auch ein neues Verständnis von Arbeit, eine neue Lernkultur. Bei der Vielfalt in der Branche sind die Bedingungen, unter denen betriebliche Weiterbildung stattfindet, kaum vergleichbar. Als der Weiterbildungsverbund gestartet ist, wurde jedoch sehr schnell klar: wir bewegen uns vor allem im Bereich des informellen und non-formalen Lernens. In allen Weiterbildungsstatistiken ist die Branche Schlusslicht, und dennoch wird gerade hier immer und überall gelernt: Egal wie eng die Personaldecke ist und wer was gelernt hat, die Gäste müssen bedient werden und am Ende zufrieden sein und der Betrieb muss überleben. Und so wird hinter den Kulissen im laufenden Prozess eingewiesen, angeleitet, angelernt, umgeschult, neue Produkte und neue Technologien werden eingeführt und ausprobiert. Bei den Größeren passiert dies etwas systematischer, bei den Kleineren ad hoc nach Bedarf. Viele größere Hotelbetriebsgesellschaften bauen in den letzten Jahren ihre internen Weiterbildungsstrukturen auf oder aus, erfassen zum Teil erstmalig Weiterbildungswünsche und -bedarfe und richten eigene Akademien ein. Kleinere bzw. Einzelunternehmen nutzen vorwiegend Schulungen und Seminare externer Anbieter für die Branche, z.B. DEHOGA oder Deutsche Hotelakademie oder holen sich freie Trainer*innen ins Haus.
Insgesamt ist das Thema Weiterbildung aber deutlich im Vormarsch, denn alle Unternehmen in der Branche müssen zugleich Arbeitskräfte anlernen, ihr Portfolio, ihr Profil weiterentwickeln und ihre Personalarbeit professionalisieren. Und entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass die Konkurrenz um Fach- und Arbeitskräfte gerade in dieser Branche jede Form der Zusammenarbeit verbietet, gibt es ein sehr großes Interesse an branchenbezogenen Netzwerken und Kooperationen.
forum wbv: Können Sie bitte anhand eines Beispiels darstellen, wie Sie die Zugänge zu den Unternehmen gestalten? Welche Akteure nehmen dabei eine Brückenfunktion ein?
Regio WBV Nordschwarzwald: Einen Zugang zu den Unternehmen erhalte ich über Gespräche, bei denen ich mit meiner Fachexpertise aus der Tourismus- bzw. Hotelleriebranche gut ankomme. Auch über die Teilnahme an entsprechenden Messen und Veranstaltungen sowie über Weiterempfehlungen kommen die Kontakte zustande.
Oftmals entstehen über das Thema des Fachkräftemangels Gespräche über die Weiterbildungen, die im Unternehmen benötigt werden.
Eine unterstützende Funktion nehmen u. a. die Industrie und Handelskammer (IHK), die IHK Foreign Skills Approval (IHK FOSA), das Welcome Center Nordschwarzwald (bei der IHK angesiedelt), die Arbeitsagentur und das Jobcenter, die Handwerkskammer und die Deutschen Auslandshandelskammern (AHK) ein.
WBV HOGA:Co: Wir sind mit einem schon bestehenden Unternehmensnetzwerk in den Weiterbildungsverbund gestartet. Zunächst haben wir mit diesen Partnerunternehmen deren Weiterbildungssituation und -bedarfe genauer erhoben. Dann haben wir daraus Angebote geschaffen, mit denen wir weitere Unternehmen ansprechen konnten. Das heißt, wir haben die Themen aufgegriffen, die besonders häufig genannt wurden, und zu thematischen Input- und Austauschrunden eingeladen. Daraus sind verschiedene Formate der Zusammenarbeit entstanden, z.B. ein Stammtisch der Personaler:innen, ein Stammtisch Ausbildung, eine Veranstaltungsreihe „Führungstrainings kennenlernen und ausprobieren“, eine Gruppe von Unternehmen, die gemeinsam mit einer Sprachlehrerin betrieblichen Deutschunterricht entwickelt, oder eine Gruppe von Unternehmen, die mit externer Unterstützung das Thema Sexuelle Belästigung bei sich verankert. Wir initiieren diese Runden, moderieren sie und holen uns aus ihnen auch immer wieder Ideen zu neuen Themen und Aktivitäten. Daraus entsteht ein Schneeballeffekt – Unternehmen beziehen andere Unternehmen mit ein oder die Themen der einen Unternehmen stoßen auch bei weiteren Unternehmen auf Interesse. Hier übernehmen die Sozialpartner und die IHK insofern eine Brückenfunktion, als sie ihre Mitgliedsunternehmen und Newsletterabonnent:innen punktuell über unsere Aktivitäten informieren und auch unsere Formate und Erfahrungen in ihr Portfolio aufnehmen. Im Grunde aber gibt es keine etablierten Kanäle, um Unternehmen zum Thema Weiterbildung anzusprechen. Alle Akteure gemeinsam müssen Unternehmen dafür gewinnen, neue Wege aktiv mitzugestalten.
forum wbv: Welche Bedarfe melden die Unternehmen bzw. die betrieblichen Akteure?
Regio WBV Nordschwarzwald: Die Unternehmen benötigen direkte Unterstützung bei den Anerkennungsverfahren und der Integration ausländischer Fachkräfte.
Hier ist die Angleichung auf das deutsche Ausbildungsniveau ein Thema, aber auch digitale und In-House-Sprachkurse. Zum Beispiel das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert ab 6 Teilnehmenden die Fortbildungskosten zu hundert Prozent. Da sind Verbundlösungen, bei denen sich mehrere Unternehmen zusammenschließen, möglich.
WBV HOGA:Co: Für Geschäftsführende und Personaler:innen, mit denen wir hauptsächlich zu tun haben, sind die großen Themen: Recruiting und tägliche Personalarbeit, Führungskompetenz, Sprachkompetenz, Ausbildungskompetenz, besondere branchentypische Konfliktsituationen. Hier sehen sie großen Entwicklungsbedarf, finden aber – im Gegensatz zu rein fachlichen Schulungen – oft keine geeigneten Anbieter:innen. Aus einer Umfrage unter Beschäftigten wissen wir, dass Mitarbeiter:innen eher an fachliche Fortbildungen denken und zwar nicht nur bezogen auf ihre aktuelle Tätigkeit, sondern auch um über den Tellerrand zu schauen, etwas Neues kennenzulernen, sich beruflich weiterzuentwickeln, zu verändern, neue Aufgaben zu übernehmen.
forum wbv: An welchen Stellschrauben sollte gedreht werden, um Weiterbildung in Ihrer Branche bzw. Region zu stärken?
Regio WBV Nordschwarzwald: Gespräche mit vielen Unternehmen haben ergeben, dass gerade in kleineren Unternehmen, die Notwendigkeit von Weiterbildungen oft nicht erkannt wird. Des Öfteren wird angeführt, dass Weiterbildungen nicht möglich seien, da der Betrieb nicht auf einer/einen einzige/n Mitarbeiter:in verzichten könne. Auch die Kosten und die Dauer einer Weiterbildung werden angeführt.
Hier ist es wichtig, die Vorteile für das Unternehmen entsprechend darzustellen.
WBV HOGA:Co: Eine große Hürde ist Zeit – Mitarbeitende freizustellen trotz enger Personaldecke und oft plötzlichen Arbeitsanfalls – und damit verbunden die Schwierigkeit Weiterbildung als festen Bestandteil der Arbeit zu etablieren. Geeignet sind daher Angebote, die sich relativ leicht in den Arbeitsalltag integrieren lassen – regelmäßige kürzere Trainingseinheiten, inhouse oder online.
Betriebsübergreifende Veranstaltungen haben wiederum den besonderen Wert, dass sich Beschäftigte über den eigenen Alltag hinaus austauschen und auch voneinander lernen. Wichtig dabei ist aber, unabhängig vom Format und auch bei „weichen“ Themen, der Branchenbezug. Veranstaltungen, gerade kürzere, sind dann besonders effizient, wenn Trainer:innen und Teilnehmende die Branche als gemeinsame Grundlage haben und auch Fallbeispiele aus dem Branchenalltag aufgegriffen werden. Wir übernehmen deshalb oft eine beratende Rolle für Weiterbildungsanbieter:innen, wie sie ihre Themen branchenspezifisch ausbauen können.
Aus unserer Erfahrung als Weiterbildungsverbund nehmen wir mit, dass in der Region eine zentrale branchenspezifische Anlauf- oder „Servicestelle“ rund um Bildungsthemen, die zwischen Bedarfen und Angeboten vermittelt und Foren für Input, Austausch und Entwicklung schafft und moderiert, sehr sinnvoll ist.